Aktuell17. März 2024
Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD für die Legislaturperiode 2024-2029 – was kann der Naturschutz erwarten?
Die Landespolitik wird offensichtlich verstärkt auf die Landnutzenden ausgerichtet, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen wird abgeschwächt (symbolhaft ist die Umbenennung des Ministeriums).
Der Umweltbereich ist nicht akzentuiert, trotz drängender Probleme und zu erreichender Ziele. V. a. die Themen Klimaschutz und Sicherung der Artenvielfalt, die dringend in der Fläche umzusetzen sind, werden nicht hinreichend konkretisiert.
An Umwelt- bzw. Naturschutzstandards ist unbedingt festzuhalten, die erforderlichen Anpassungen am aktuellen, erst jüngst beschlossenen HeNatG ist zwar aufgrund erheblicher Mängel geboten, darf aber die grundsätzlichen Natur- und Landschaftsschutzziele nicht aufweichen oder diese gar aufgeben. Aussagen im Koalitionsvertrag zur Umgestaltung der Eingriffsregelung und zur Steuerung von Ersatzmaßnahmen geben Anlass für den Berufsstand, die Arbeit der neuen Landesregierung kritisch zu begleiten.
Ausgesprochen bedauernswert ist, dass in Anbetracht der vielfältigen Flächennutzungsansprüche und den damit verbundenen Schutz- und Anpassungserfordernissen an keiner Stelle das Wort Landschaftsplanung erwähnt wird. Damit bleibt das zentrale Planungsinstrument für eine zielgerichtete und alle Belange ausgewogen berücksichtigende Landesentwicklung ungenutzt. Stattdessen wird sektorale Interessenpolitik verfolgt. Es sollte dringend ein Pilotprojekt aufgesetzt werden, das an den drängenden Problemstellungen arbeitet und schnell tragfähige und wirksame Lösungen generiert und in die Umsetzung bringt. Die Ergebnisse müssen dann übertragen und so dringend benötigte Positiveffekte für die Umwelt in die Fläche gebracht werden.
Unter der Überschrift Landwirtschaftliche Förderung wird die gezielte Vernetzung der Biotope mit dem Ziel Insektenschutz in der Fläche benannt. Das ist eine entscheidende Maßnahme, die aber nicht nur auf dem Papier stehen darf und nicht tatsächlich wirksam durch „Kulturpflanzenvielfalt“ und eine „Erweiterung der Fruchtfolgen“ befördert werden kann. Hier braucht es deutlich mehr Anstrengungen zur Sicherung der Artenvielfalt.
Es ist es korrekt, dass „für den Erhalt der Artenvielfalt und Biotope … die Bewirtschaftung und Beweidung unserer Kulturlandschaft unerlässlich“ ist. Gleichwohl kommt es hierbei (wie immer) auf die Nutzungsintensität an. Insbesondere für die Mähwiesen und Weideflächen in Natura 2000-Gebieten und im Biosphärenreservat ist der Lebensraumschutz unbedingt zu priorisieren.
Den vermeintlichen Problemarten, wie Wolf, Biber, Kormoran und Gänsen einzig mit der Erleichterung der Entnahme, d.h. Abschuss begegnen zu können, kritisieren wir. Hier gilt es sehr viel differenzierte Maßnahmen, wie in der Vergangenheit auch schon praktiziert, anzuwenden. Der Abschuss einzelner Kormorane oder Grau- und Kanada-Gänse verändert nicht das Räuber-Beute-System, sondern führt zu einer Umverteilung der Individuen in andere Orte. Insbesondere der Abschuss von Grau- und Kanada-Gänsen führt immer wieder zum Abschuss nicht dem Jagdrecht unterliegenden und im Bestand sehr bedrohten Arten, wie Bläss- und Saatgänsen.
Zum Thema Flächenverbrauch sollte eine klarere Definition zur sparsamen Versiegelung neuer Flächen / zum Flächenverbrauch erfolgen.
In Anbetracht der Situation der hessischen Wälder wäre es sehr wichtig, wenn die Nutzung der Bestände stark auf eine notwendige Erholung / Stärkung und den notwendigen Waldumbau ausgerichtet wird. Gerade (noch) intakte Laubholzaltbestände sind hierbei von herausragender Bedeutung (Naturverjüngung), weshalb die Beendigung des Einschlagmoratoriums für alte Buchen im Staatwald sehr kritisch gesehen wird. Allein die Entnahme ohnehin geschädigter Bäume lässt eine wesentliche Bestandsreduzierung der für die Artenvielfalt so wichtigen Altbestände erwarten.
Bzgl. Nachhaltigkeit für Klima, Umwelt und stabile und erneuerbare Energie erscheint, in Anbetracht der Dringlichkeit, eine ausreichend dicht getaktete Evaluierung (jährlich, statt wie formuliert mind. zweimal in der Legislaturperiode) zum Erreichen der Klimaziele erforderlich, da ggf. schnell mit einer entsprechenden Gesetzgebung reagiert / nachgesteuert werden muss.
Die Zielsetzung zum Natur- und Artenschutz in jedem Naturraum bis zu 15 % der Offenlandflächen und entlang der Gewässer für den Biotopverbund zur Verfügung zu stellen, wird positiv bewertet. Allerdings sind die Probleme in der Umsetzung bekannt und führen hierbei regelmäßig zu Schwierigkeiten, die eine wirksame Umsetzung scheitern lassen. Auch hier wird es als sinnvoll angesehen, anhand von Pilotprojekten Lösungsstrategien zu entwickeln, um die flächige Umsetzung voranzutreiben.
Begrüßt wird die Beibehaltung des flächendeckenden Aufbaus von Landschaftspflegeverbänden, die aufgrund ihrer Nähe zu Landnutzenden vor Ort wichtige, die Artenvielfalt fördernde Maßnahmen umsetzen und den Erhalt der Schutzgebietsziele sichern können.
Ebenso begrüßt wird, dass das Thema Lichtverschmutzung benannt wird. Was hierbei eine „Dark-Sky-Inaktive“ erreichen kann ist zukünftig unbedingt zu konkretisieren und in Fachrecht zu überführen. Ohne eine Operationalisierung der Möglichkeiten Lichtverschmutzung konkret bei der Zulassung von Vorhaben zu regeln, kann die Initiative nur ein Papiertiger bleiben.
Der Erhalt der Streuobstwiesen und die Lenkung von Ausgleichsmaßnahmen in diesen Biotoptyp wird grundsätzlich gutgeheißen. Hier sind finanzielle Mittel für die Langfristpflege vom Land vorzuhalten. Das Ehrenamt und sonstige Träger sind mit der aufwändigen Pflege heute schon überfordert.
Die Neuausrichtung der Umwelt-Lotterie auf die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen führt dazu, dass weniger reine Naturschutzprojekte realisiert werden können. Das kritisieren wir. Naturschutzmaßnahmen verfolgen auch immer Nachhaltigkeitsziele, weshalb eine Neuausrichtung nicht erforderlich ist.
In Bezug auf die Sonnenenergie wird die Förderung / Ausweitung der solaren Energiegewinnung als unabdingbar für die Energiewende bewertet. Das Mindestziel 50% der Photovoltaikanlagen auf Dachflächen zu entwickeln wird aber als deutlich zu gering bewertet. Zur Verdeutlichung:
• Landesgröße Hessen: 21.100 km²
• bei 1 % als Zielgröße solarer Nutzfläche somit: 211 km²
• mögliche Solaranlagen in der Landschaft somit: 105,5 km²
Dies bedeutet, dass eine Fläche der Größe von über 5 % der in Hessen bereits für Siedlungen baulich genutzten Bereiche mit Solaranlagen überstellt werden könnte (aktuelle Flächenanteile von Siedlungen 9,5 % der Landesfläche bzw. 2.004 km²). Dies kann politisch nicht gewollt sein, hier muss der Fokus wesentlich stärker auf die bereits bebauten / versiegelten Bereiche gelegt werden.
Die Realisierung von Freiflächenanlagen in naturschutzrechtlich geschützten Räumen darf nur erfolgen, wenn dies nachweislich nicht den Schutzzielen zuwiderläuft.
Der Koalitionsvertrag 2024 der neuen hessischen Landesregierung ist zu finden unter:
www.cduhessen.de/data/documents/2023/12/18/2831-65802d707c79e.pdf
www.spd-hessen.de/wp-content/uploads/sites/269/2024/01/Koalitionsvertrag_2024.pdf
Stand 12.03.2024
Aufgestellt: Stefan Kappes & Elke Grimm